Leben in Korinth
- kathrinreist
- 24. Juni 2024
- 4 Min. Lesezeit

An diesem warmen Sommertag ist der kleine Strand voll mit Familien. Im Wasser tummelt sich eine Gruppe Jugendlicher. Und auch wir kühlen uns nach dem langen Tag in den Wellen ab. Ein paar wenige, sorgfältig ausgegrabene Ruinen daneben zeugen von dem einst geschäftigen Osthafen Kenchräa der Handelsstadt Korinth.
Korinth liegt bis heute auf dieser Landbrücke, die das griechische Festland und die Peloponnes verbindet. Im Westen garantiert der langgestreckte Golf von Korinth eine ruhige See, im Osten liegt der saronische Golf, die Tür nach Athen, ja überhaupt ins östliche Mittelmeer. Wer nicht hier passieren wollte, musste den Seeweg um die Peloponnes wagen, wie der Kaufmann Zeuxis aus Hierapolis, der jeweils das berüchtigte Kap Malea umschiffte.
In römischer Zeit musste in Korinth die Fracht gelöscht und auf dem Landweg zum anderen Hafen gebracht werden – oder das Schiff wurde auf einer Vorrichtung über Land gezogen. Bereits die römischen Kaiser waren deshalb von der Idee eines Kanals angetan. Das Bauvorhaben konnte jedoch erst 1893 umgesetzt werden.

Die Lage an diesem wichtigen Warenumschlagplatz machte Korinth in römischer Zeit zu einer sehr mächtigen Stadt, wirtschaftlich und politisch Athen überlegen. Korinth war denn auch Hauptstadt der Provinz Achaia und es ist aus strategischer Sicht kein Wunder, dass Paulus hierherkam und eineinhalb Jahre hier verbrachte. Die nächste Stadt weiter westwärts, die ihm lohnenswert zu besuchen erschien, war Rom. Ich finde, das sagt viel aus, über die heute eher unscheinbare Ortschaft Korinth.
Hier im Hafen von Kenchreä nahm Paulus das Schiff Richtung Syrien kurz nach der Auseinandersetzung vor dem Proconsul Gallio. Und hier im Hafenviertel lebte Phöbe, die Diakonin, die Paulus in seinem Brief der römischen Gemeinde ans Herz legt:
Ich empfehle euch unsere Schwester Phöbe, die Diakonin der Gemeinde von Kenchreä. Nehmt sie auf im Herrn, wie es sich für die Heiligen geziemt, und steht ihr bei, wo immer sie eure Hilfe braucht. Denn sie hat sich ihrerseits für viele eingesetzt, auch für mich persönlich. Brief an die Römische Gemeinde 16,1-2, Zürcher Bibel
Als Beschützerin für sich selbst und für andere bezeichnet Paulus Phöbe. Einmal mehr werden an einem Briefschluss die herzlichen Beziehungen spürbar, die Paulus im Lauf seiner Tätigkeit als frühchristlicher Missionar geknüpft hat. Und gleichzeitig blitzt kurz das Bild einer tatkräftigen, einflussreichen Frau auf, die in der jungen Gemeinde eine wichtige Stellung, ja ein Amt innehatte. War sie, wie Lydia, eine wohlhabende Frau und erfolgreiche Händlerin? War sie Villenbesitzerin, die der jungen Gemeinde einen Raum zur Verfügung stellen konnte? Oder war sie eine resolute Wirtsfrau mit vielen Beziehungen? Welche Rolle spielte sie im Hafenviertel von Kenchreä?
Paulus nimmt in seinen Briefen auf die Unterschiede in der Gemeinde Bezug, auf verschiedene Gruppierungen, auf Sklaven und auf die Frauen in der Gemeinde. Die Apostelgeschichte (18,7) berichtet von einem gewissen Titius Justus, der Paulus in seinem Haus, das an die Synagoge angrenzte, einen Raum zur Verkündigung zur Verfügung stellte. Wo lag diese Synagoge wohl?
von links nach rechts: Korinth, Thessaloniki, Athen
Wie so oft auf unserer Reise, liegen die meisten Reste der einst bedeutenden Stadt Korinth unter der heutigen Besiedlung. Dies ist ebenso in Thessaloniki und in Athen der Fall. Ausgegraben sind lediglich die Stadtzentren mit den öffentlichen Bauten – Tempel, Theater, Agora, Bäder, Prachtstrassen und hier eben ein kleines Stück des einstigen Hafens. Im Museum sehen wir die Keramik, für die Korinth berühmt war, einzelne Alltagsgegenstände, sowie Grabmonumente. Aber wie lebten die einfachen Leute in einer römischen Stadt?
Ein Beispiel römischer Wohnviertel der Mittelschicht und der armen Bevölkerung sehen wir erst in Pompeji eine Woche später zum ersten Mal.
In Pompeji zeigt der Blick in die Behausungen der kleinen Leute, wie eng diese waren im Vergleich zu den grosszügigen Villen der Elite. Wir sehen die unzähligen Gassenküchen, wo sich die Bevölkerung verpflegte – einfache Leute hatten keine eigene Küche in ihrer Wohnung. Noch sind die Mulden im Marmor zu sehen, in denen die Kochtöpfe mit den Gerichten standen. In einer der Küchen lehnen noch die Amphoren an der Wand, eine andere ist ausstellungshalber mit Lebensmitteln geschmückt, die in der damaligen Zeit verwendet wurden: Getreide, Salat, Artischocken, Äpfel, Trauben, Kräuter wie Rosmarin, Minze und Salbei. Im Hintergrund ist an der Wand ein Altar aufgemalt. In jeder Markthalle ist auch ein Tempel eingebaut. Die Verehrung der Götter war allgegenwärtig – im öffentlichen wie im privaten Raum.
Wieviel Brot täglich gebacken wurde in dieser Stadt, zeigen die vielen Bäckereien mit eigenen Mühlen. Der Backofen gleicht jenem in den Ofenhäusern in Salvenach und Lurtigen.
Die Verbindung von Essen und Gottesverehrung wird in diesem Umfeld stark sichtbar. Es ist eines der Themen, welches von Paulus im 1. Korintherbrief breit verhandelt wird.
An einer Hausmauer zeugt ein grosser Schriftzug vom Wahlkampf: Ceius Secundus und Gaius Lollius Focus werden von der Besitzerin des Imbissladens für den Stadtrat empfohlen. Sie selbst kann als Frau nicht abstimmen.
Eine Schlange an der Wand und ein Phallus über der Tür bezeichnen das Bordell. Dort weist ein «Kamasutra» an der Wand auf das Angebot der sexuellen Dienstleistungen hin. Im kleinen Kämmerlein neben dem Eingang ist ein billigerer «Schnellservice» erhältlich. Nur die Stoffe fehlen, die Vorhänge, die Decken und Kissen – und natürlich die Menschen. In den Villen zeugen Wandbemalungen vom Verkauf einer Sklavin, vom Handel mit Stoffen, Schuhen, Lebensmitteln, vom Orakelwesen und vom aus Ägypten «importierten» Isiskult, der zur Zeit von Paulus en vogue war.
Es sind diese Eindrücke, die das Leben von Sklavinnen, Handwerkern und Köchinnen, Sexarbeiterinnen und Freiern, Priesterinnen und Politikern plastisch werden lassen – so fremd und in Vielem unbekannt mir das Leben in dieser Zeit auch bleibt. Doch genau diese Welt hat Paulus vor Augen, wenn er die KorintherInnen mit dem Bild des gekreuzigten Sklaven Christus zu gegenseitiger Solidarität aufruft.

eine Sklavin wird verkauft
























